ausstellung
Chaïm Soutine – Gegen den Strom
02. September 2023 bis 14. Januar 2024 ● Düsseldorf ● K20 - Kunstsammlung NRW
Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt in einer umfassenden Ausstellung die Werke des Künstlers Chaïm Soutine. Dessen expressive Gemälde reflektieren sein Leben als jüdischer Emigrant und sind zugleich Zeugnisse einer Existenz am Rand der Gesellschaft. Die Ausstellung widmet sich auch der Entwurzelung des Menschen infolge von Flucht und Migration, die damals wie heute eine zutiefst prägende Erfahrung ist.
Die Gemälde Soutines sind Farbexplosionen und trotz aller widrigen Umstände Liebeserklärungen an das Leben und an die Menschen, die wie er auf der untersten Stufe der Gesellschaft stehen. Pagen, Zimmermädchen, Köche, Messdiener und Chorknaben sind seine Modelle. Mit ihnen, wie mit den Gemälden von wankenden Landschaften und geschlachteten Tieren schafft er prägnante Bilder für eine ganze Epoche. Einer Generation, die durch Krieg, soziale Missstände und den unerbittlichen Widerstreit religiöser und politischer Weltanschauungen gezeichnet ist. Die Menschen und Motive berühren zutiefst, weil ihre Verletzlichkeit den Existenzängsten unserer Zeit Ausdruck verleiht.
Chaïm Soutine wuchs in der Nähe von Minsk in Weißrussland auf. Er war das zehnte von elf Geschwistern. Armut und Diskriminierung prägten die Kindheit. Dem Bilderverbot der jüdischen Tradition widersetzte er sich als er mit vierzehn Malunterricht nahm, zunächst in Minsk, dann an der Akademie in Vilnius und ab 1913 in Paris. Die Metropole wurde seine Ersatzheimat, aber Soutine blieb ein Außenseiter, der die Sprache zunächst schlecht beherrschte und dem die gesellschaftlichen Gepflogenheiten fremd blieben. Künstler:innengruppen ignorierte er ebenso wie die tonangebenden Richtungen des Surrealismus und Kubismus. Die Armut, die seit seiner Jugend den Alltag bestimmte, schien ihn in Paris wieder einzuholen. Seine Sozialisation und ein gravierendes Magenleiden erschwerten die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Daran änderte sich auch nichts, als der US-amerikanische Sammler Albert C. Barnes 52 Gemälde des bis dahin unbekannten Malers kaufte und sich Soutines finanzielle Situation verbesserte.
Mit seinem Umzug nach Paris studierte Soutine die alten Meister im Louvre. Mit aller Leidenschaft widmet er sich der Farbe als Medium und Ausdrucksträger seiner Gemälde. Die Ausstellung zeigt, dass sich Soutine früher als andere Zeitgenoss:innen einen individuellen Weg zwischen Abstraktion und Figuration bahnte. War Soutine durch sein Einzelgängertum zu Lebzeiten ein Spezialfall der Moderne, so wurde er nach seinem Tod gleichermaßen zum Urvater des Abstrakten Expressionismus und der Neuen Figuration erhoben.
Obwohl bereits vor rund 100 Jahren entstanden, scheint seine Malerei in Technik und Sujet von faszinierender Zeitlosigkeit zu sein. Einer der Dreh- und Angelpunkte dieser Ausstellung ist deshalb die Frage nach der Aktualität der Malerei Soutines. Als Brücke von der Moderne bis in die Gegenwart wurde begleitend zur Ausstellung eigens ein Interviewfilm von Louisiana Channel produziert, der der Frage nachgeht, was die ungebrochene Faszination an den Werken und an der Person dieses besonderen Künstlers bis heute ausmacht.
Bildunterschriften und /-nachweise:
1. Chaïm Soutine, Le Groom Page The Groom 1925, Öl auf Leinwand / Oil on canvas 98 × 80,5 cm Ancienne collection du baron Kojiro Matsukata affectée en 1959 au Musée national d'art moderne en application du traité de paix avec le Japon de 1952 Centre Pompidou, Paris, Musée national d'art moderne - Centre de création industrielle, bpk | CNAC-MNAM | Philippe Migeat
2. Chaïm Soutine, La Vieille Actrice, Die alte Schauspielerin, The Old Actress 1922 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 92,1 × 65,1 cm, Loaned from a Private Collection, courtesy of McClain Gallery, Paul Hester; Private Collection, courtesy of McClain Gallery
3. Chaïm Soutine, Les Maisons, Häuser, Houses 1920/21 Oil on canvas / Öl auf Leinwand 58 × 92 cm Musée de l’Orangerie, Paris, bpk / RMN - Grand Palais / Hervé Lewandowski
4. Chaïm Soutine, Le Petit Pâtissier, Der kleine Konditor, The Little Pastrycook 1922/23 Oil on canvas / Öl auf Leinwand 73 × 54 cm Musée de l’Orangerie, Paris
bpk / RMN - Grand Palais / Thierry Le Mage
5. Chaïm Soutine, Nature morte au faisan, Stillleben mit Fasan, Still Life with Pheasant Um 1919 / ca. 1919 Oil on canvas / Öl auf Leinwand 92 × 60.5 cm Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Foto: Walter Klein, Düsseldorf
6. Chaïm Soutine, Nature morte aux harengs, Stilleben mit Heringen, Still Life with Herrings 1915-1916 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 64,5 × 48,6 cm Galerie Larock-Granoff, Paris