ausstellung

sammlung mit losen enden 06: drei seiten des bildes

Bis 01. September 2024 ● Aachen ● Kunsthaus NRW Kornelimünster

In welchem Verhältnis steht das Kunstwerk zur Wirklichkeit, die es abbildet? Bezieht es sich auf eine äußere Realität oder führt es uns ein abstraktes Geschehen vor Augen? Was wissen wir über die Umstände seiner Entstehung? Und nicht zuletzt: Wie entsteht das Bild, das wir uns von einem Bild machen? Die Neupräsentation „sammlung mit losen enden 06“ reflektiert diese Fragen und steht unter dem Motto „Drei Seiten des Bildes“. Während die Vorderseite eines Werkes Fragen von Gestalt und Fläche gewidmet ist, erzählt die Rückseite – mit Angaben zu Künstler, Datum, Vorbesitzern oder Ausstellungsgeschichte – uns etwas über die Entstehungsgeschichte und damit den Kontext des Bildes. Ein dritter, immaterieller Aspekt des Kunstwerks ist eng mit der Wahrnehmung des Betrachters verknüpft: Es eröffnet sich ein Bildraum, in den Imaginäres einfließt und eine Vorstellung, ein Gedankenraum entsteht.

Der Rundgang durch die Ausstellung gliedert sich entlang dieser drei Aspekte und versammelt Werke von 1912 bis in die jüngste Gegenwart. Beginnend mit der »Rückseite« folgt er einer Dramaturgie, die die Erzählung von den drei Seiten des Bildes mit den kunstgeschichtlichen Entwicklungen hin zur Abstraktion verschränkt. Auf den Rückseiten der Kunstwerke sind oft Zettel oder Stempel angebracht, die auf die Provenienz hinweisen. In einigen Fällen zeigen sie aber auch übermalte Bilder, zweitverwendete Leinwände, Adressangaben oder Materialeigenschaften, die sogar auf die Biografie der Künstlerin oder des Künstlers verweisen. Wie und wo, unter welchen Umständen haben sie gearbeitet? Auf den Rückseiten hat sich der Staub der Geschichte abgelagert, sie verraten etwas über die Entstehungsumstände der Bilder. Wendet man zum Beispiel das Werk Turner in der Halle von Johannes Geccelli, so ist sichtbar, dass dieser das Ölgemälde in der Nachkriegszeit, im Jahr 1949, auf den Stoff eines amerikanischen Mehlsacks malte. Das Werk steht für die Anfänge der Sammlung wie für den Neubeginn der modernen Kunst nach 1945.

Im Zusammenhang mit den – in der Regel verborgenen – Rückseiten gerät auch eine weitere Frage in den Blick: Woher kommen eigentlich die Bilder der Sammlung des Kunsthauses NRW? Als diese im Jahr 1948 gegründet wurde, erwarb man die meisten Werke direkt bei den Künstlerinnen und Künstlern. Es ging darum, ihnen durch Förderankäufe das Leben und Arbeiten zu ermöglichen und nach dem Kahlschlag der Nationalsozialisten wieder an die abgeschnittene Moderne anzuschließen. Einige Kunstwerke wurden zwischen 1959 und 1964 im Kunsthandel erworben, um die Vorgeschichte der modernen Kunst vor 1945 dokumentieren zu können.

Im Bestand der Sammlung befinden sich aber auch Werke, die 1948 von der neu gegründeten Landesverwaltung von der Vorgängerverwaltung übernommen wurden und in den 1930er Jahren für Propagandazwecke angeschafft worden waren. Die Bilder wurden damals systematisch erfasst, Porträts Hitlers oder offensichtliche Propaganda-Bilder entfernt. Aber nicht jedes Propaganda-Bild wurde in der Kürze der Zeit erkannt und entsprechend deklariert. Die meisten der übernommenen Bilder hatte die preußische Landesverwaltung seit 1900 zur Dekoration der öffentlichen Gebäude erworben; einige wurden zwischen 1933 und 1945 erworben oder in Auftrag gegeben. Sie sind nach der traditionellen, naturalistischen Kunstauffassung ausgewählt, die von der Reichskammer propagiert wurde. Im Bestand der Sammlung befinden sich jedoch auch mehrere erhaltene Propaganda-Bildwerke, die mehr über die Ideologie jener Zeit verraten. Auf einem Kunstwerk steht der Vermerk: ehemals Sammlung Hermann Göring. Die neue Sammlungspräsentation stellt auch diesen komplexen Erbfall zur Diskussion.

kunsthaus.nrw

Bildunterschriften und /-nachweise:

1. Nam June Paik, I Never Read Wittgenstein (I Never Understood Wittgenstein), 1997, Wandmalerei, Video, TV-Monitor, Größe variable, Ankauf 2019 © Nam June Paik-Estate

2. Eberhard Viegener, Die Trösterin, 1941, Öl auf Sperrholz © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Anne Gold

3. Alwin Lay, Ein Tropfen Gelb, 2020 und Heftzwecke, 2015, Archival Pigment Print auf Cotton Rag-Papier,
(r.) Andreas Gursky, Breitscheider Kreuz I, 2000, Farbfotografie © VG Bild-Kunst, Bonn 2023/Courtesy Sprüth Magers, Foto: Carl Brunn

4. Thomas Ruff, Nächte, 1993, Granolithografie © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Anne Gold

5. Johannes Geccelli, Turner in der Halle (Rückseite), 1949, Öl auf Mehlsack, Ankauf 1952 © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Carl Brunn

6. (l.) Alex Wissel, Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung, 2018, Buntstift auf Papier, Dibond
(r.) Alex Wissel und Jan Bonny, Euro-Zeichen (Rheingold), seit 2016, Fiberboard, Acrylglas, Aluminium, Bildschirm, Video, Ton ©Wissel/Bonny, Foto: Carl Brunn